Leipziger Volkszeitung: Liebe und Lust
Leipziger Volkszeitung: Liebe und Lust

Er sieht sie. Sie sieht ihn. Die Welt steht still. Für einen Moment. Die Welt dreht sich weiter. Und nichts ist mehr so, wie es einmal war. Die Liebe hat – gnadenlos wie immer – zugeschlagen. Wen man liebt, kann man sich eben nicht aussuchen. Richtig kompliziert wird die Sache aber, wenn der Geliebte der Sohn einer Familie ist, mit der die eigene Sippe schon so lange im Clinch liegt, dass der Hass sich inzwischen verselbstständigt hat.

Ohne Zweifel: Romeo und Julia ist die größte, die schönste, die tragischste Liebesgeschichte aller Zeiten. Für alle Zeiten. Und sie ist, ganz Shakespeare-Klassiker, zeitlos. Als solche zeitlos große, schöne, tragische Geschichte inszeniert die Akademie der Darstellenden Künste (AdDK) das Stück in ihrer Sommertheater-Variation, vor der romantischen Delitzscher Schlosskulisse feierte die Produktion am Samstag Premiere.

Leichtfüßig und erfrischend kommt daher, was so bekannt wie dramatisch ist. Und augenzwinkernd: Da streiten sich die AdDK-Schüler am Anfang eben mal, wer Julia und wer Romeo spielt. Diese Rollen, so viel Klischee darf der angehende Schauspieler schon einmal bedienen, will ja schließlich jeder einmal verkörpern. Regisseur Tom Wolter gelingt es so schon in den ersten Minuten, den Klassiker derart vielschichtig zu präsentieren, wie Shakespeare ihn wohl einmal gemeint hat – nicht alles an diesem Stück ist ach-so-tragisch und romantisch. Nein, hier lauern, unter anderem, beißender Witz und sprachliche Genialität. Oder das, was heute Action genannt wird, wenn sich die Schauspieler atemberaubende Fecht- und Kampfszenen liefern.

Tom Wolter besetzt sein Sommerstück dabei äußerst klug und findet im Reigen der AdDK-Talente genau die richtigen für die Rollen. Julia, verkörpert von Isa-Maria Hupe, ist eben keine erwachsene und erfahrene Frau, sondern eigentlich noch fast ein Kind, als die Liebe sie so eiskalt erwischt und übermannt.

Der AdDK-Romeo André Ryll steigt nicht auf diese unsägliche Erwartungshaltung ein, die Leonardo DiCaprio Ende der 1990er-Jahre als der Typ zum unbedingten Dahinschmelzen für jede Frau aufdrückte. Romeo im Delitzscher Sommertheater ist ein ziemlich normaler Typ. Einer, der irgendwie auch mal mit seinen Hormonen zu kämpfen hat.

Auch diesen Aspekt kitzelt die Delitzscher Produktion ganz leichtfüßig, unterhaltsam und eigenwillig heraus: Es geht zwischen Romeo und Julia nicht nur um diese große, schöne, tragische und unschuldige Liebe bis in den Tod. Es geht auch um Lust. So gelingt eine Inszenierung, die genau so viel Romeo und Julia zeigt, wie es sein muss und dabei überraschen kann, ohne ins übertrieben Experimentelle abzudriften. Ein Genuss, den sich die Delitzscher noch einmal am Freitag um 17.30 Uhr am Barockschloss gönnen können. Danach geht das Stück auf Tournee, ist vom 3. bis 5. Juli in der Baumwollspinnerei Leipzig und anschließend unter anderm in Halle und Magdeburg zu sehen.

Quelle: LVZ vom 26.06.2012

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