Wildes Abenteuer: „Zootopia“ feiert Premiere
Wildes Abenteuer: „Zootopia“ feiert Premiere

VON CHRISTINE JACOB

Er ist wieder da. Stefan Kaminsky hat in Bad Düben schon „LANDschafftTHEATER“ geschafft. Vor zwei Jahren brachte der Regisseur der Theaterakademie Sachsen mit seinem „SommernachtsTRAUMA“ Besucherrekorde. Nun wird es wild. Am Freitag feiert „Zootopia“ im Tiergarten Delitzsch Premiere. Der Weg dahin ist nicht immer leicht.

Stefan Kaminsky macht Kilometer an diesen Tagen. Immer wieder springt er von seinem Platz, läuft vor zur Bühne. Gibt Anweisungen. Gestikuliert mit weiten Armbewegungen. Fragt die Studentin Freijdis Jurkat in den High Heels mit den 15 Zentimetern Absatz, ob es noch geht. Es muss. Solange sie kann. Alles gut bei allen? Auch wenn die Hitze drückt? Ja, sagen sie. Er geht wieder zurück. Setzt sich. Schaut zu, der linke Knöchel liegt auf seinem rechten Knie. Den Kopf hat er auf die linke Faust gestützt. Er lächelt. Es sieht gut aus. Er ist zufrieden. Zootopia wird nun Wirklichkeit. Es ist die zweite Sommertheater-Produktion, die der 39-Jährige für die Theaterakademie Sachsen inszeniert. Im Sommer 2014 hat ein „SommernachtsTRAUMA“ nach Shakespeare-Motiven rund 600 Gäste mit einer Handvoll Vorstellungen in den Oberen Bahnhof in Delitzsch gelockt – Rekord bislang. Ein wilder und bunter Ritt durch die Kunst und mit ihr war das, provokant und progressiv ohne in eine zu künstlerische Schräglage zu geraten. Einfach gut gemachte Unterhaltung. Nun wird es noch wilder. Die Theaterakademie, das Baff-Theater und der Tiergarten kooperieren erstmals – das Sommertheater wird nicht in der Ausbildungsstätte, sondern auf der Zoobühne gezeigt. Die lernen die Schauspieler am vergangenen Freitag das erste Mal kennen. Bisher haben sie in der Akademie geprobt. Seit Ende April laufen die Arbeiten am Stück schon, am Freitag ist Premiere. Fast 20 Stunden wöchentlich befassen sich die neun Eleven damit – im Tanzunterricht genauso wie in Sprecherziehung. Immer wieder Zootopia. Vier Musical- und fünf Schauspiel-Studenten jeweils im vierten Semester und alle um die 20 oder Anfang 20 sind sie. Nun stehen sie dort, wo die Theater-Utopie des Theaters im Theater Wirklichkeit werden soll. Kunstrasen zieht sich über einen Steg vor der Tiergartenbühne. Leitern stehen herum. Ein  Tierpfleger kommt mit einer Mistkarre vorbei. Hinten schauen die Alpakas schmatzend über den Zaun. Auf der anderen Seite schnattern Enten. „Du musst offener denken, Marie“, sagt Stefan Kaminsky und kommt zum Bühnenrand. Seine Arme beschreiben einen großen Bogen. Schauspiel-Studentin Marie Spinka spielt die Ginsterkatze in Zootopia, der Show. Sie soll sich mehr Raum nehmen, mehr von der Bühne nutzen, so mehr Wirkung erzielen. Sie trägt graues Fell um die  Handgelenke, eine enge Leoprintleggings und eine gemalte Katzenschnute. Und jetzt bitte die Szene noch einmal: „Medea hoch fünf!“, sagt der Regisseur. Marie wird wieder zu Isabel, die panisch um ihren Job fürchtet, ihre  Stimme beginnt zu beben, die Augen flirren. „Gut, seeeeehr gut, Marie“, sagt Stefan Kaminsky. Und bleibt sitzen. Marie Spinka ist die Ginsterkatze und die Schauspielerin Isabel in der doppelbödigen Dschungelshow. Sie muss Tier und Mensch zugleich sein. In seiner „Zootopia“- Parabel, einer Stückentwicklung nach Motiven anderer, erzählt Stefan Kaminsky in einem Theater im Theater von der Existenz und Existenzangst des Schauspielers. „Zootopia“, die Show, läuft bereits seit sechs Jahren und soll nun abgesetzt werden. Was wird aber dann aus den Darstellern von Zebra, Antilope, Marabu oder Ginsterkatze? Existenzangst, Missgunst, Heuchelei und Intrigen schleichen sich in die Show ein und die Grenzen zwischen Mensch und Tier, gespielter Rolle und Schauspieler verschwimmen. Die Fabel um Liebe und Macht im Show- und Tierreich erzählen die neun Protagonisten mit vollem körperlichen und stimmlichen Einsatz im Stile einer Theater-Revue. Zebra Tobias Greiner-Lar schwuchtelt in hohen Hacken über die Bühne, Giraffe Corina Hofner verbirgt ein Geheimnis, Marabu Anne Grünig macht sich gleich zu Anfang halb nackt, Eva Vinke und Cölestine Zoe Reich machen einen auf dümmlich Dschungelluder Mona und Lisa ...

Dschungelshow ist Prüfung im „Theater im Theater“

Das Theater im Theater, das so entsteht, ist zugleich Prüfung im Theater. Nach dem vierten Semester werden die Studenten der Theaterakademie in ihrer Arbeit in ganzen Stücken getestet. Die rund 90 Minuten Zootopia sind mehr als Show. Es geht um Zensuren. Für den Regisseur heißt das: Er muss nehmen, was er kriegt. Es gab kein Casting für die Rollen in der Sommerproduktion. Stefan Kaminsky fing vor gut einem Jahr an, das Stück zu entwickeln, nachdem jemand die Idee hatte, doch mal Theater im Tiergarten zu spielen. Von Anfang an war die Maßgabe, alle neun Leute des vierten Semesters unterzubringen und dabei Schauspiel und Musical zu verknüpfen. Und zwar so, dass der Zuschauer sein Stück auf hohem Niveau wie bei Vollprofis zu sehen bekommt und die Prüfer Fortschritte und Fähigkeiten ihrer Studenten. Doch Kaminsky lässt sie mit liebevoller Strenge machen. „Na los, wir schreiben hier keinen Test, bietet mir was an!", fordert er. Die Studenten sollen die Szenen, das Stück mitentwickeln – Kaminsky ist fordernd, aber kein Dogmatiker. „Mach mal weniger Musical, das brauchen wir gar nicht, mach weniger, aber mach es konkreter“, mahnt er Luisa Marie Kettnitz, die den Löwen spielt. „Sei mal schmierig, weißte, so ’ne üble Anmache, so richtig Arschloch eben. Wie würdest du das machen?“, fragt er Fabian Trott, der Mackie, den Conferencier, spielt.

Über Monate hat Stefan Kaminsky am Text geschrieben, Songs komponiert, Szenen entwickelt. Nun gibt er sie frei. Die Schauspieler sollen nicht einfach gut einen Text aufsagen, sie sollen ihn fühlen und mit Leben füllen. Mit ihrer Interpretation. Immer wieder ruft der Regisseur „Los, bietet mir was an!“. Der doch nicht so coole Löwe raucht genervt, die nervöse Ginsterkatze beruhigt sich mit Stricken, Mackie schnalzt seinen Kommilitoninnen auf der Bühne hinterher. „Ja, ja, genau, sehr gut“, lobt der Regisseur. Er ist ein Glücksfall für die Studenten. „Wir haben Freiheiten, können die Figuren mit ihm entwickeln“, erzählt Fabian Trott. „Und er folgt dabei einem pädagogischen Konzept, er bringt jeden einzelnen von uns weiter“, weiß Marie Spinka. „Er verlangt viel“, sagt Luise Marie Kettnitz, „aber er gibt auch viel und die Arbeit mit ihm ist angenehm.“ Viel geben ist auch nötig, zur Not eigene Requisiten. Keine 500 Euro Budget hat das Team, um Zootopia Wirklichkeit werden zu lassen. „Für ’nen Appel und ’n Ei, ne Kiste Bier und ’nen Freundschaftsdienst“, sagt Stefan Kaminsky, ist viel entstanden. Der Zuschauer wird es nicht merken. An der Theaterakademie wissen sie Theater pur im Sinne Brechts zu inszenieren – wenig Mittel, großer Effekt. Das gelingt mit Licht, mutigen Interpretationen und ihrer Leidenschaft. Der Parabel gelingt so eindrucksvoll der Blick hinter Masken und Fassaden auch unserer Gesellschaft. Theater auf den Punkt. Zootopia ist Wirklichkeit. Nicht genau so, wie es sich Stefan Kaminsky mal vor einem Jahr ausgedacht hat. Besser. So wie sie es wollten.

Stefan Kaminsky wurde 1977 in Ost-Berlin geboren. Ab 1997 studierte er an der HfS Ernst Busch, Berlin, Schauspiel. Nach seinem Abschluss 2001 hatte er unteranderem Engagements am Schauspiel Leipzig, dem Staatstheater Dresden, dem Düsseldorfer Schauspielhaus und anderen renommierten Häusern. Er arbeitet als Schauspieler für Film und Fernsehen, als Sprecher für Hörbücher und Synchronisation. An der HMT Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig ist er ebenso Dozent wie am Thomas-Bernhardt-Institut in Salzburg undder Theaterakademie Sachsen in Delitzsch. Er wird Gastdozent für Schauspiel an der „Universität der Künste“ in Berlin. In Bad Düben hat er mehrfach im Rahmen „LANDschafftTHEATER“ mit Laien großartiges Theater auf die Bühne und die Stadt in Bewegung gebracht. Stefan Kaminsky ist mit einer Schauspielerin verheiratet und hat eine Tochter.

« zurück